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Autor: |
Brit |
Artikel erschienen in: |
FUNime Nr. 38, Seite 39, Juli 2004 |
Als Kitano vor vielen Jahren als Liftboy in Asakusa arbeitete, sah er
dort an manchen Abenden ein Bettlerpaar durch die Straßen gehen, das
mit einem Stück roten Seiles aneinander gebunden war. Die Leute des
Ortes lachten über sie, ohne zu wissen, wer sie waren, woher sie kamen
oder warum sie aneinander gebunden waren. Der Anblick dieser beiden
Bettler hinterließ einen so tiefen Eindruck in Kitano, daß er dieses
seltsame Paar in seinem Film Dolls thematisierte.
Ein junger Mann erfährt am Tage seiner Hochzeit, daß seine ehemalige
Verlobte einen Selbstmordversuch begangen hat. Ohne zu zögern fährt er
zu ihr ins Krankenhaus, doch sie erkennt ihn nicht. In völligen Autismus
versunken sitzt das Mädchen da und spricht kein Wort. Ohne einen weiteren
Gedanken an seine Zukunft wirft der Mann sein bisheriges Leben über Bord
und nimmt sie, an eine rote Kordel gebunden, mit sich.
Unterwegs kreuzen sie ihre Wege mit anderen Menschen, deren Schicksale
sich in eigenständig erzählten Geschichten offenbaren. So kommen sie an
einer Straße vorbei, in der ein alter Yakuza-Boß wohnt, der nach vielen
Jahrzehnten immer noch an seine Jugendliebe denkt. Und weiter außerhalb
der Stadt begegnen sie einer jungen Popsängerin, die weitab von allen
Menschen allein am Strand sitzt und depressiv aufs Meer hinaus schaut.
Dolls, der 2002 mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von
Venedig ausgezeichnet wurde, ist ein sehr poetisch-lyrischer, aber auch
sehr realistischer Film, der sich in drei Kurzgeschichten mit dem Thema
Liebe beschäftigt. Ähnlich wie bei den TV-Dramen im japanischen Fernsehen
ist hier jedoch nicht an die erfüllte, große Liebe zu denken, sondern
eher an eine Liebe, die von Selbstsucht und Narzißmus geprägt ist, aber
auch Trauer, Leid, Einsamkeit und Schuldgefühl spielen eine große Rolle.
Jeder der Protagonisten ist von einer eigenen, selbstsüchtigen Vorstellung
besessen, welchen Weg er einschlagen und wie er handeln soll.
Im Gegensatz zu anderen Filmen von Kitano, die fast alle im Yakuza-Milieu
spielen und für ihre brutale Gewaltdarstellung bekannt sind, ist Dolls
nicht körperlich grausam, dafür aber umso mehr seelisch, und auch dies nicht
nur durch Worte, sondern hauptsächlich durch Taten.
Wie der Titel des Films schon verrät, ist Dolls eher als Bühnenstück
zu verstehen. Das traditionelle japanische Puppentheater, Bunraku,
lieferte hier die Vorlage. Kitano sagt in einem Interview dazu, daß der
Film in Form einer Geschichte mit Bunraku-Puppen konzipiert wurde und
die in Form einer Puppentheateraufführung mit menschlichen Figuren
erzählt wird. Der gesamte Film ist wie ein gigantisches Bühnenstück
gehalten, in dem menschliche Puppen spielen. Das spiegelt sich sowohl
in den Farben als auch in den Kameraeinstellungen wieder. Für einen
Kitano-Film ungewöhnlich bunt, ist Dolls ein wahres Feuerwerk an Farben.
Der Film ist in vier Teile geteilt, die durch die Jahreszeiten
symbolisiert werden. Jede Jahreszeit wurde so klischeehaft wie möglich
dargestellt, was dem Film ein Gefühl von einer riesigen Fotoausstellung
gibt – Kirschblüte im Frühling, die schillernde See im Sommer,
roter Ahorn im Herbst und Schnee im Winter.
Durch diese Landschaften gehen nun Matsumoto (NISHIJIMA
Hidetoshi) und Sawako (KANNO Miho, u.a. The Ring 2)
in ihren aufwendigen, leuchtenden Kostümen, wodurch sie so unrealistisch
für die dargestellte Welt wirken. Sie scheinen eher zur Welt der Toten
zu gehören als zu den Lebenden, Puppen, für die das menschliche Geschehen
keine Bedeutung mehr hat.
Dolls ist ein typisch japanischer Film. Die Szenen sind sehr lang,
es gibt wenig Schnitte und auch nur wenig Kamerabewegung. Alles wirkt sehr
bühnenhaft. Die Hintergründe der einzelnen Charaktere erklären sich in
unzähligen, größtenteils unkommentierten Rückblenden. Es wird kaum gesprochen
und auch die Hintergrundmusik ist nur sehr spärlich. Die Gefühle und Gedanken
der Protagonisten erschließen sich während des Sehens für den Zuschauer,
und gerade der Mangel an Worten ist es, der Dolls so ergreifend macht.
Oft sitzt man davor und denkt sich „Warum sagt er es nicht?“
und im nächsten Moment denkt man sich „Weil er nicht über seinen
Schatten springen kann.“
Die Kostümausstattung von Dolls, entworfen und gefertigt von YAMAMOTO
Yohji, wurde bereits von vielen Kritikern hoch gelobt. Die Kleidung der
Hauptdarsteller sticht besonders durch die verwendeten Farben hervor,
die an die jeweilige Jahreszeit angepaßt sind. Sie gibt sowohl durch die
aussagekräftigen Farben als auch durch die an traditionelle Vorlagen
angelehnten Schnitte die innere Welt der Figuren nach außen hin preis.
Wem das noch nicht Grund genug ist, sich Dolls anzusehen, sollte es
spätestens deshalb tun, weil es einer der besten Takeshi-Filme ist.
In diesem Film sind zahlreiche Lebenserfahrungen Kitanos verarbeitet
und führen dem Zuschauer vor Augen, wie selbstsüchtig manche Handlungen
doch sind und wie wichtig es ist, eine Entscheidung zu treffen.
Dolls
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Drehbuch und Regie: |
KITANO Takeshi |
Darsteller: |
NISHIJIMA Hidetoshi, KANNO Miho u.a |
Produktion: |
Bandai Visual, Tokyo FM, Television Tokyo & Office Kitano |
Kostüme: |
YAMAMOTO Yohji |
Musik: |
HISAISHI Joe |
Entstehungsjahr: |
2002 |
Alterseinstufung: |
FSK 12 |
Land: |
Japan |
Spieldauer: |
108 Minuten |
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Deutsches DVD-Release 2004, Deutsch, Japanisch (OV) mit deutschen Untertiteln
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2. DVD mit Specials, ca. 74 Min.: Filmographien, Biographien, Interviews,
Scenes from the shot, Venice Film Festival 2002, Original Trailer, Trailer
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