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Geheimtip: Die "Kleine Reihe" der Mori-Ôgai Gedenkstätte

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Autor: Daniela Simon
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 23, Seite 37, Oktober 2001

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Die zweisprachigen Ausgaben von Kodansha (OL Shinkaron, GTO, AMG-Mini Goddesses) sind wohlbekannt. Wer jedoch hat schon einmal von den zweisprachigen Manga der Mori-Ôgai Gedenkstätte gehört? Zweisprachig im Sinne von Japanisch und - nein, nicht Englisch, sondern Deutsch!

Cover Band 11 (Link: größeres Bild) Seit vier Jahren (1997) veröffentlicht die Mori-Ôgai Gedenkstätte in Berlin die "Kleine Reihe", in der japanische Texte von Studenten übersetzt werden. Mittlerweile erschienen 17 Ausgaben, in denen neben der Übersetzung in der Regel auch das Orginal zu finden ist! In den letzten Jahren wurden in diesem Rahmen auch verstärkt Manga veröffentlicht. Aus diesem Grund führte die FUNime ein Interview mit der Referentin für Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit der Mori-Ôgai Gedenkstätte, Beate Weber.

FUNime: Wie kommt es, daß die Mori-Ôgai Gedenkstätte die Kleine Reihe veröffentlicht?

Frau Weber: Wir veröffentlichen die Kleine Reihe im Gedenken an Mori Ôgai. Dieser war ja 1884 nach dem Abschluß seines Medizin-Studiums in Tokyo nach Berlin gekommen, um u. a. bei Robert Koch seine Kenntnisse der Hygiene und des Heeressanitätswesens zu vertiefen. In dieser Zeit beschäftigte er sich auch intensiv mit deutscher Literatur. Seine Erfahrungen in Deutschland hielt er nach seiner Rückkehr 1888 in den sogenannten drei "deutschen Novellen" fest, von denen die Berliner Erzählung Die Tänzerin (verfilmt, auch als Anime!) bis vor kurzem zum Pflichtstoff an japanischen Oberschulen gehörte. Wir ehren Ôgai in erster Linie als Vermittler deutscher Literatur und Kultur in Japan. Zu den von ihm übersetzen Werken zählen u. a. Klassiker wie beide Teile von Goethes Faust sowie Werke von E.T.A. Hoffmann, Kleist, Lessing, Heine und Schiller. Die Mori-Ôgai Gedenkstätte befindet sich in seiner einstigen Berliner Wohnung in der Luisenstraße 39 und kann werktags zwischen 10 und 14 Uhr besichtigt werden. Als lebendige Gedenkstätte wollen wir nun wiederum den Deutschen die japanische Literatur, Etikette sowie Film- und Geistesgeschichte näherbringen, indem wir Übersetzungen japanischer Werke veröffentlichen.

In der Mori-Ôgai Gedenkstätte F: Wer übersetzt denn diese Werke?

W: Japanologie-Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin müssen für ihre Abschlußarbeit oder innerhalb des Übersetzungsseminars bei Herrn Prof. Dr. Kracht, dem Herausgeber der Kleinen Reihe, Übersetzungen anfertigen. Die besten und interessantesten Übersetzungen werden dann in der Kleinen Reihe veröffentlicht, um diese einem breiteren Publikum vorzustellen. Wir wollen damit keinen Profit machen. Wir verstehen uns als Fenster zur Öffentlichkeit.

F: Wie reagieren denn die Verlage auf ihre Veröffentlichungen?

W: Die von uns veröffentlichten Werke liegen noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Wir fragen bei dem jeweiligen japanischen Verlag an, und da wir mit der Kleinen Reihe keinen Profit machen wollen, bekommen wir meistens unbürokratisch die Erlaubnis für die Veröffentlichung. Es ist sowohl für die japanischen als auch für die deutschen Verlage von Vorteil, wenn Texte aufbereitet sind und rezipiert werden können. Zwei unserer Studenten hatten bereits Werke von MURAKAMI Haruki übersetzt, als dieser in Deutschland fast gänzlich unbekannt war. Nun, wo er dank der Diskussionen im Literarischen Quartett auch bei uns zum Bestsellerautor avanciert ist, sollte Norwegian Wood übersetzt werden, von dem wir bereits 1998 das zweite Kapitel in der Kleinen Reihe Nr. 4 herausgebracht haben. Der Dumont-Verlag ließ sich die Publikation schicken, um sich zu informieren, und beauftragte dann doch eine andere Übersetzerin. Hilfreich war es auf jeden Fall, und wenn man mal beide Übersetzungen vergleicht, kann jeder an der japanischen Sprache Interessierte eine Menge dabei lernen.

Cover Band 12 (Link: größeres Bild) F: Wer wählt denn die zu übersetzenden Werke aus und wie werden sie korrigiert?

W: Die Studenten haben die freie Wahl. Wir wollen sie ermutigen, die Angst vor dem Übersetzen zu überwinden und das im Seminar Gelernte anzuwenden, deshalb gibt es von vornherein keine Einschränkungen. Natürlich gibt es auch Werke, z. B. von Ôgai, die wir für unbedingt übersetzungswürdig halten und die wir vorschlagen, es ist aber kein Muß. Zunächst wird die generelle Eignung für die Kleine Reihe geprüft werden mit anfänglichen Korrekturen, dann vergleicht eine Muttersprachlerin mit dem Orginaltext und anschließend wird mehrere Runden stilistisch gefeilt. Zwischendurch muß der Übersetzer selbst wieder ran und die Korrekturen einarbeiten. Die dazu nötigen Absprachen und das Layout übernimmt eine studentische Tutorin. Wenn Prof. Kracht dann am Ende sein "imprime!" gibt, fällt uns allen ein Stein vom Herzen und das Ganze geht mit dem nächsten Text wieder von vorn los. Einen Konsens über die beste Fassung zu finden ist so schwierig, weil jeder so seine eigenen Vorstellungen von einer perfekten Übersetzung hat. Generell gilt für uns: so nah wie möglich am Orginal und so entfernt wie nötig. Unsere Kleine Reihe ist wirklich wie ein selbstgestrickter Pullover: Wir geben uns die beste Mühe und hoffen, daß das Ergebnis möglichst gut wird. Es steckt wahnsinnig viel Arbeit in der Kleinen Reihe, die einfach keiner sieht. Die Fertigstellung dauert übrigens auch genauso lange wie der selbstgestrickte Pullover: Mindestens ein Jahr! *zwinker*

F: Und wie kommt es nun, daß in so einem wissenschaftlichen Rahmen Manga veröffentlicht werden?

W: Das war nicht geplant. Eines Tages legte eine Studentin eine ausgezeichnete Manga-Übersetzung vor, die mußten wir einfach aufnehmen. Und seitdem haben sich auch andere Studenten für Manga aus dem Bereich der Etikette und Anstandsliteratur entschieden. Aber vielleicht kann Karin das besser erzählen.

Karin: Jaaa… ich habe Prof. Kracht als Seminararbeit eine Doraemon-Übersetzung vorgeschlagen und eigentlich überhaupt nicht erwartet, daß er das genehmigen würde!
Überrraschenderweise hat er ganz positiv reagiert, und so durfte ich dann sogar meine Diplomarbeit über Shoujo Manga schreiben…! Ein Teil meiner Diplomarbeit, eine Übersetzung zu Hi no Ryôsen (Der purpurfarbene Bergkamm), wurde ein Jahr später ebenfalls innerhalb der Kleinen Reihe veröffentlicht.

F: Ich bin wirklich überrascht zu hören, daß dieser Vorschlag so einfach angenommen wurde!

W: Wieso überrascht? Manga sind doch aus der japanischen Kultur nicht mehr wegzudenken! Wir leben natürlich auch nicht an der Welt vorbei. Es gibt ja auch viele sinnvolle Manga, die ein Japanologie-Student kennen sollte bzw. die ihm sogar bei seinem Studium der japanischen Kultur helfen können. Doraemon ist natürlich der absolute Klassiker und in Hi no Ryôsen lernt der Leser das Japan der Kriegsjahre kennen und erfährt außerdem noch etwas über die Rolle der Frau zu dieser Zeit. Die beiden anderen Manga beschäftigen sich einmal mit der Teezeremonie und dann mit dem Omiai (vermittelte Treffen von potentiellen Heiratskandidaten) und stellen damit eine wunderbare Möglichkeit dar, diese Aspekte der japanischen Kultur anschaulich und leicht verdaulich kennenzulernen. Es ist einfacher, sich anhand von Manga die komplizierten Regeln und Begriffe einzuprägen, als mit Hilfe einer Vokabelliste und einem trockenen Text. Also macht es natürlich durchaus Sinn, Manga in der Kleinen Reihe zu veröffentlichen. Immerhin gibt es ja auch über Mori-Ôgai selbst mehrere Manga; einen davon sogar mit Auszeichnung.

F: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch für die FUNime führte Daniela Simon.

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Mori-Ôgai Gedenkstätte

Adresse: Luisenstraße 39, 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Mo-Fr 10-14 Uhr
Telefon: 030-2826097
Telefax: 030-281-5068
E-Mail: beate.weber@rz.hu-berlin.de
Homepage: http://www2.hu-berlin.de/japanologie/mog/

Die Manga der Kleinen Reihe

Kleine Reihe 10
Fujiko Fujio: Doraemon - Ein japanischer Comic-Held
Doraemon ist der Klassiker unter den Manga. Nobita bekommt von seinem Urenkel aus dem 22. Jahrhundert einen Roboter namens Doraemon geschickt, der verhindern soll, daß Nobita seinen Nachkommen einen riesigen Schuldenberg hinterläßt. Aus seinem Bauchbeutel kann Doraemon allerhand nützliche Gegenstände zaubern, die dem jungen Helden meist jedoch nur noch größere Probleme bringen.
 
Kleine Reihe 11
Togaeri Chizuko, Fujiwara Ryôji: Ratschläge für die Ehebahnung in Japan
Chisato Miyauchi, 23 Jahre jung, ledig, sucht. Zum Glück gibt es ja noch die altbewährte Tradition des Omiai, und so findet Chisato bald den Richtigen.
Dies ist einer der Manga, dessen Sinn und Zweck nicht die eigentliche Story ist, sondern in dem es darum geht, dem Leser einen Sachverhalt darzulegen, in diesem Fall das Omiai.
 
Kleine Reihe 12
Saeki Kayono: Der purpurfarbene Bergkamm (Hi no Ryôsen)
Hi no Ryôsen beschreibt die Lebensgeschichte von KURUMIZAWA Tôko. Sie durchlebt die Zeit des zweiten Weltkriegs in Japan und damit auch der Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Zwischen der traditionellen Frauenrolle und der sich ankündigenden Emanzipation muß sie ihren Platz in der Welt finden - und ganz nebenbei auch noch den Mann ihres Lebens.
Hi no Ryôsen ist eine wunderbare Mischung aus Shoujo-Schmachtheftchen und Untericht in japanischer Geschichte für Fortgeschrittene. Eben diese Mischung bescherte der Autorin 1994 den 23. "Nippon Manga Artist Award".
 
Kleine Reihe 15
Sen Sôshi: Einführung in die Teezeremonie
Verpackt in die Geschichte um den Büroangestellten GÔDA Ippei erklärt dieser Manga ausführlich die Teezeremonie und alles Wichtige drumherum. Zudem ist dem Heft ein Glossar mit wichtigen Wörtern der Teezeremonie beigefügt.
 

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