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Autor: |
Stephan Henker |
Artikel erschienen in: |
FUNime Nr. 23, Seite 46, Oktober 2001 |
"Der eigene Ruhm (Koumyou) ist abhängig von den Gegnern. Man kann nicht jeden als Gegner akzeptieren, der einem über den Weg läuft." – Worte von Kumagae no Naozane, Heike Monogatari
Rückblick:
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Nach dem Sieg über Yoshinaka stieg Minamoto no Yoshitsune zu einem der berühmtesten Militärführer des Landes auf und machte sich nun daran, den Erzfeind seines Clans, die Ise-Taira zu vernichten. Die Wahl für den ersten Angriff fiel auf Fukuhara nahe des heutigen Kobe. Bereits am 13. März 1184, nur wenige Tage nach dem Sieg über Yoshinaka, brachen Yoshitsune und Noriyori aus Kyoto auf.
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Ichi-no-Tani
Eigentlich war Ichi-no-Tani nur die westliche Festung, die den Zugang nach Fukuhara sicherte. Die Taira hatten ihren Stützpunkt an einer Stelle errichtet, die sehr zum Vorteil des Clans mit der Seefahrertradition gereichte, denn bei Fukuhara umrahmte die Steilküste einen schmalen Landstreifen. Die Klippen bildeten dabei die Nordseite der Festung, während sie nach Süden hin zum Meer offen war. Zugang war nur über den Strand auf Ost- und Westseite möglich, den die Taira durch Palisaden abgesichert hatten: Ikuta-no-Mori im Osten und Ichi-no-Tani im Westen.
Der Plan der Minamoto war, daß Noriyori mit der Hauptstreitmacht (Oote) von Osten entlang der Küste gegen Ikuta-no-Mori zog, während Yoshitsune mit der Nachhut (Karamete) einen Bogen durch die Provinz Settsu machte, um einen gleichzeitigen Angriff von Westen auf Ichi-no-Tani zu starten. Wenn die Angriffe präzise und überraschend ausgeführt würden, sollte es möglich sein, durch die Stellungen der Taira zu brechen, noch bevor sie überhaupt die Chance hätten, mit dem Kaiser auf die offene See zu fliehen. In der Nacht des 18. März überrannten Yoshitsunes Truppen Mikusayama, einen Außenposten der Taira, etwa 50 km nördlich von Ichi-no-Tani. Danach übertrug Yoshitsune jedoch das Kommando seiner Streitmacht an Doi no Sanehira, der die Truppen entsprechend des Planes führen sollte, während Yoshitsune selbst mit einer kleinen Gruppe eingeschworener Krieger direkt in Richtung Süden auf die Klippen zuhielt.
Von Würde und Zeugen
Die mittelalterlichen Kriegsgeschichten enthalten viele Begebenheiten, in denen es um "würdige Gegner" (yoki kataki) oder im Gegensatz dazu, um "unwürdige" (awanu kataki) geht. Für einen Krieger war der Kampf gegen hochrangige Gegner erstrebenswert, doch es war ebenso wichtig, daß jemand diesen Kampf bezeugen konnte. So sind in den Kriegsgeschichten zahlreiche Referenzen zu solchen Zeugen (Shounin) und ihrer Notwendigkeit zu finden. So berichtet Heike Monogatari von zwei Kriegern, Kumagae no Naozane und Hirayama no Sueshige, beides Sinnbilder des östlichen (Bandou) Kriegers, die beim Angriff der Minamoto auf den westlichen Zugang, Ichi-no-Tani, um die Führung streiten. (Zuweilen ist auch der Name "Kumagai" anstelle von "Kumagae" zu finden, da dies alternative Lesungen der selben Kanji sind. Anm. d. A.).
Der niedrige Status der beiden Männer wird beim Vortrag ihres Nanori (Namenrufen) deutlich, da sie nichts weiter zu berichten haben, außer daß sie aus der Provinz Musashi stammen. Kumagae no Naozane bemerkte: "Selbst wenn er nichts macht, erwirbt ein Anführer (Daimyo) Ehre durch die Heldentaten seiner Vasallen (Kenin). Aber wir Vasallen haben uns die Reputation selbst zu verdienen." Das japanische Wort für einen Anführer, Daimyo, bedeutet wörtlich "großer Name" und wurde in späterer Zeit zur üblichen Bezeichnung für Militärführer, die ein gewisses Territorium kontrollierten und eine große Gefolgschaft von Vasallen besaßen. In der Heike Monogatari wird mit Daimyo jedoch noch ein Offizier bezeichnet, der mindestens 500 Reiter kommandierte. Das Gegenteil von "Daimyo" ist "Shoumyou" (kleiner Name). Shoumyou sind Krieger ohne eigene Vasallen, die den "realen Kampf" selbst zu führen haben, Leute wie Kumagae und Hirayama. Beide tauchten schon nach der Kampagne gegen den Satake-Clan in Hitachi im elften Monat des Jahres 1180 auf, als sie von Yoritomo persönlich belohnt wurden. Im Azuma Kagami heißt es: "Von den Kriegern [die gegen die Satake kämpften] haben sich besonders Kumagae Jirou no Naozane und Hirayama no Musha-dokoro Sueshige hervorgetan. Immer in vorderster Front kämpfend, bestritten sie eine Begegnung nach der anderen ohne an Leben oder Tod zu denken und sammelten viele Köpfe. Dementsprechend wurde angeordnet, daß sie großzügiger belohnt werden sollten als ihre Kameraden."
Viele Kommentatoren haben darauf hingewiesen, daß bei dem Streit um die Führung bei Angriffen oft nur sehr wenig erreicht wurde, obwohl im Azuma Kagami berichtet wird, daß Naozane und Sueshige bei der Satake-Kampagne viele Köpfe nehmen konnten. Bei vielen anderen, wenn nicht gar bei den meisten Wettläufen werden die Krieger kaum mehr erreicht haben, als sich selbst in unnötige Gefahr zu bringen. Und diejenigen, die den Angriff anführten, begannen den Kampf oft gar nicht sofort, sondern warteten, bis andere ihrer Armee erschienen, um als Zeugen zu dienen.
Einige dieser Aktionen erfolgten sogar gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer Kommandanten. So wird in einer Passage der Heike beispielsweise Minamoto no Noriyori zitiert, wie er vor der Schlacht von Ichi-no-Tani sagte, daß "es keine Belohnung geben wird für Krieger, die nach vorn zum Angriff stürmen und die Armee hinter sich zurücklassen." Doch Kajiwara no Kagetaka ignorierte die Weisung und stürmte mit lautem Kriegsgeschrei voran. Kagetakas Vater, Kajiwara no Kagetoki, ergriff die Angst, daß sein Sohn getötet würde und stürzte mit den 500 Reitern seines Kommandos hinterher. In dem entbrennenden Gefecht wurden alle bis auf fünfzig aufgerieben.
Eröffnung der Schlacht
In der Nacht vor dem Angriff entschied auch Kumagae no Naozane, dem Befehl seines Kommandanten nicht zu folgen und als erster gegen die Taira zu ziehen. Er ahnte, daß auch sein Kamerad Hirayama no Sueshige auf diesen Gedanken gekommen war, da beide "den Massenangriff (uchikomi no ikusa) nicht mochten, bei dem der einzelne Krieger in der Menge untergeht". Also schlich sich Naozane in der Nacht aus dem Lager und machte sich auf den Weg zum Schildwall (Kaidate) vor der Befestigung von Ichi-no-Tani. In der Dunkelheit der Nacht rief er seinen Namen: "Hier sind Kumagae Jirou no Naozane und sein Sohn Naoie, die Ersten (Senjin) bei Ichi-no-Tani." Doch von der Taira-Festung drang nur Stille.
Im Gegensatz zu den Ausführungen der Heike beschreibt das Gempai Seisui Ki den Ablauf etwas anders. Darin forderte Naozane die Taira zum Kampf, und als die Antwort ausblieb, verspottete er die Besatzung der Festung und nannte sie "Krieger ohne Ehre". Doch die einzige Antwort der Taira war ein Pfeilhagel, der Naozane zum Rückzug zwang.
Auch Hirayama no Sueshige erschien noch in der Nacht am Strand. Er war von Narida no Gorou aufgehalten worden, der ihn darauf hinwies, sich nicht zu weit von seinen Zeugen zu entfernen. "Was kann von einem einzelnen Krieger vollbracht werden, der in die gegnerischen Horden eintaucht und dabei sein Leben läßt?" Doch als Sueshige anhielt, um auf seine Verbündeten zu warten, schoß Narida an ihm vorbei, in der Absicht, selbst Erster bei Ichi-no-Tani zu sein. Doch dieser Trick half nicht, da Hirayama das schnellere Pferd besaß, ihn einholte und weit zurückließ. Naozane hatte ebenfalls vor dem Problem gestanden, keine Zeugen zu haben, als er allein mit Sohn und Standartenträger vor der Stellung der Taira stand. Zusammen mit Sueshige diskutierte er lange die Notwendigkeit der Zeugen, als die Gruppe das Morgengrauen erwartete. Am Morgen wiederholte Naozane seine Herausforderung: "Wenn es Krieger der Heike (Taira) geben sollte, die glauben, gegen mich antreten zu können, dann laßt sie herauskommen und kämpfen. Kommt heraus und kämpft!". Schließlich öffnete sich das Tor und zwanzig Krieger kamen herausgeritten, der Kampf begann. Naozane und Sueshige bezwangen einem nach dem anderen; Naozane verlor sein Pferd und mußte ein anderes besteigen, Naoie wurde von einem Pfeil am Bogenarm getroffen und ein anderer Pfeil fällte den Standartenträger von Sueshige. Letztlich beanspruchten beide, Naozane und Sueshige, Erste bei Ichi-no-Tani gewesen zu sein; Naozane dafür, als Erster die Befestigung erreicht zu haben und Sueshige dafür, daß er den Angriff in die Festung anführte, als die Tore geöffnet wurden.
Doch weder der Angriff auf die Westseite noch auf die Ostseite konnte die Schlacht entscheiden. Der Sieg wurde durch die wohl wagemutigste und bekannteste militärische Heldentat in der japanischen Geschichte erreicht: den Abstieg über die Klippen von Hiyodorigoe.
Hiyodorigoe
Als Yoshitsune mit seiner kleinen Streitmacht von nur etwa 200 Kriegern die Klippen von Hiyodorigoe erreichte, sahen sie, daß der Kampf bereits begonnen hatte. Die Schlacht tobte, doch keine Seite konnte die Oberhand gewinnen. Unter den Anhängern von Yoshitsune war auch Benkei, der einen Führer in der Gegend kannte. Dieser sollte ihnen den Weg die steilen Klippen hinunter weisen. Es hieß, der Weg sei so steil gewesen, daß es nicht einmal die Affen wagten, hinunterzuklettern, also prüfte Yoshitsune den Pfad, indem er zwei reiterlose Pferde vorausschickte. Eines schaffte den Abstieg unbeschadet, das andere brach sich die Beine. Yoshitsune folgerte jedoch, daß seine Männer besser als die Affen sein würden und somit wagten sie das Unmögliche: "So steil war der Abstieg, daß die Zügel des hinteren Reiters an Helm oder Rüstung seines Vordermannes stießen und es sah so gefährlich aus, daß sie ihre Blicke abwendeten, als sie hinunterritten." Doch als der Grund erreicht war, lag der ungeschützte Rücken der Taira-Festung vor ihnen. Sie galoppierten durch die Stellungen und setzten alles in Brand, was sie vorfanden. Die Taira, völlig geschockt von dem überraschend aufgetauchten Feind in ihrem Rücken, verloren all ihren Mut und versuchten in kopfloser Panik hastig auf ihre Schiffe zu fliehen. Für die Zurückgebliebenen sollte ein aussichtsloser Kampf um ihren eigenen Kopf beginnen. Der Kaiser war jedoch bereits zu Beginn der Kämpfe auf ein Schiff gebracht worden, so daß den Minamoto zumindest diese Beute verwehrt blieb.
Dieses Manöver war typisch für Yoshitsune, der sich durch Kühnheit, Schnelligkeit und die fast unheimliche Gabe auszeichnete, die Reaktionen des Feindes vorauszuberechnen. Teil dieser Taktiken war es auch, bedeutende Risiken einzugehen und sich dabei ohne zu zögern über andere Befehlshaber hinwegzusetzen. Der Erfolg, den seine Aktionen stets hatten, trug jedoch nicht unbedingt zu seiner Beliebtheit in den oberen Rängen der Befehlshaber bei, wenngleich ihn seine Untergebenen nahezu vergötterten.
Taira Tadanori
Taira Tadanori galt als renommierter Krieger und kühner Stratege, der die "beiden Wege von Bun und Bu", die Wege des Hofes und des Militärs, zu meistern schien. Als Sieger der ersten Schlacht am Uji (1180 gegen Minamoto no Yorimasa) und Überlebender von Kurikara war es Tadanori, der die Verteidigung bei Ichi-no-Tani anführte. Die historische Figur des Taira Tadanori war auch ein bedeutender Poet. Er hatte bei Fujiwara no Shunzei studiert, einem der führenden Meister seiner Zeit, und sein Name wurde unsterblich durch 16 Gedichte, die in kaiserlichen Anthologien aufgenommen wurden. Als die Taira 1183 Kyoto verließen, kehrt Tadanori zu Shunzeis Haus zurück und überreichte ihm eine Schriftrolle mit über 100 Gedichten. Er bat Shunzei, sie für eine Anthologie in Betracht zu ziehen. Tadanori glaubte, daß der Hof Shunzei beauftragen würde, eine solche zusammenzustellen, sobald wieder Frieden im Land herrschen würde. Um die außergewöhnliche Ehre wiederzugeben, die mit der Aufnahme eines Gedichtes in einer kaiserlichen Anthologie verbunden war, sagte Tadanori, daß er "selbst im Grabe Freude verspüren und als Shunzeis Schutzpatron wiederkehren würde", wenn auch nur ein Gedicht ausgewählt würde. Und tatsächlich erhielt Shunzei den Auftrag für einen Gedichtband, dem Senzaishuu, den er 1187 fertigstellte. Und auch eines der Gedichte von Tadanori ist enthalten, allerdings war Tadanori zu diesem Zeitpunkt ein "Feind des Hofes", darum schrieb Shunzei "Verfasser unbekannt" unter das Gedicht.
Als Okabe no Tadazumi, ein Samurai der Minamoto, Tadanori bei seiner Flucht erblickte, setzte er in vollem Galopp zur Verfolgung an, um die noble Beute zur Strecke zu bringen. Als Tadanori ihn bemerkte, drehte er sich um und rief "Wir sind Freunde! Wir sind Freunde!". Doch Okabe bemerkte, daß der vorgebliche Freund die unmännliche höfische Sitte übernommen hatte, seine Zähne schwarz zu färben und somit unmöglich ein Minamoto, sondern ein Taira war. Als Okabe die Taira erreichte, stoben die Begleiter von Tadanori, die nur Kari-musha (zeitweilig rekrutierte Soldaten) waren, in wilder Flucht davon. Doch Tadanori, so berichtet Heike Monogatari, besaß große Kraft. Nachdem er Okabe mehrmals mit dem Schwert treffen, die Rüstung jedoch nicht durchschlagen konnte, packte Tadanori seinen Gegner und war kurz davor, ihn zu enthaupten, als ein Diener von Okabe auftauchte und ihn mit einem kräftigen Hieb am rechten Arm verwundete. Tadanori erkannte, daß dies sein Ende war und sandte noch ein Gebet an Amida Buddha und bat um seine Wiedergeburt im reinen Land, bevor sein Kopf die Schultern verließ. Okabe no Tadazumi war sich zwar bewußt, einen "würdigen General" (yoi Tai-Shougun) getötet zu haben, doch seine genaue Identität war ihm noch unklar. Bei der Untersuchung der sterblichen Überreste fand Tadazumi jedoch ein Gedicht am Pfeilköcher, dessen Unterschrift den General als Taira Tadanori auswies. Okabe steckte den erbeuteten Kopf auf sein Schwert und begann seine Siegesproklamation. Unter den Anwesenden, ob Freund oder Feind, war niemand, der keine Tränen vergoß, als er vom Tode Tadanoris hörte. "Wie traurig. Er war eine Person, die auf den Wegen des Militärs und auf den Wegen der Poesie wandelte, ein General, den man schmerzlich vermissen wird."
Taira Atsumori
Auf einem anderen Teil des Strandes ereignete sich eine andere berühmte Geschichte der Heike Monogatari, die vom Tod des jungen Taira-Generals Atsumori durch die Hand des rauhen Bandou Kriegers Kumagae no Naozane handelt.
Getrieben vom unstillbaren Verlangen, Ehre zu erlangen, indem er würdige Gegner besiegt, ritt Kumagae no Naozane nach der Niederlage der Taira zum Strand. Er hoffte einen General unter den Taira zu entdecken, die in kopfloser Panik zu ihren Booten flohen. Die Situation auf den Booten war jedoch sehr ernst, einige waren bereits gesunken, nachdem Heerscharen von schwer gepanzerten Kriegern einzusteigen versuchten. Also wurde die Entscheidung getroffen, nur "würdige Krieger" (yoki musha) an Bord zu lassen. Die niederrangigen Krieger wurden mit Schwertern und Naginata auf Abstand gehalten und einigen, die es dennoch versuchten, waren bereits die Arme abgeschlagen worden. Vom Strand aus beobachtete Naozane das Treiben und entdeckte einen Krieger mit reich dekorierter Rüstung, die den Träger als hochrangigen Offizier auswies. Naozane forderte ihn unverzüglich heraus. Er rief dem Krieger zu, er solle nicht vor dem Feind davonlaufen, sondern zurückkehren und kämpfen. Ohne zu zögern drehte dieser um und stellte sich der Herausforderung. Doch Kumagae erwies sich als der Stärkere, warf seinen Gegner vom Pferd und sprang auf ihn, um seinen Kopf zu nehmen. Doch als Naozane den Helm des Kriegers entfernte, um ihn zu enthaupten, blickte er in das Gesicht eines 16jährigen Jungen, gepudert und die Zähne geschwärzt, wie es höfische Sitte war. Die Reaktion von Naozane war zwiespältig: Einerseits übermannte ihn das Mitgefühl, da ihn die Jugend und Schönheit des Jungen an seinen eigenen Sohn erinnerte, der beim Angriff auf die Palisade verwundet worden war; andererseits ergriff ihn tiefe Ehrfurcht angesichts der höfischen Eleganz und Aufmachung.
Er war schon kurz davor, den Jungen laufen zu lassen, als er sah, daß von rundumher Krieger der Minamoto auf sie zuströmten und Naozane wußte, daß diese keine Gnade zeigen würden. Heike Monogatari schreibt: "'Wenn du schon sterben mußt, dann laß es durch meine Hand geschehen. Ich werde dafür sorgen, daß Gebete für deine Wiedergeburt abgehalten werden.' Der junge Krieger erwiderte: 'In der Tat, wenn es so sein soll, dann nehme er meinen Kopf sofort.' Und so nahm Kumagae, gerührt und geblendet von Tränen, daß ihm die Augen verschwammen und seine Hand zitterte, daß er kaum wußte, wie er mit der Klinge schlagen solle, den Kopf des jungen Taira."
Naozanes Verhalten in der Gegenwart von Atsumori, den er kaiserlichen Höflingen gleichstellt, zeigt auch, wie weit die Taira das höfische Leben übernommen hatten. Es ist auch ein ausgezeichnetes Beispiel, wie einfache Krieger dieser Zeit mit Mitgliedern des Kaiserhofes gesprochen haben könnten, mit Personen, die von ihrem sozialen Standpunkt aus gesehen buchstäblich "über den Wolken" schwebten. Um Atsumori anzusprechen, benutzt Naozane die respektvollste Sprache, zu der klassisches Japanisch fähig ist - und klassisches Japanisch ist ausgesprochen reich in dieser Hinsicht. Atsumori hingegen spricht mit Naozane, wie ein Herr mit seinem Diener. Als Atsumori das Nanori von Naozane vernahm und dieser die Vorstellung seines Gegners erwartete, erwiderte Atsumori: "Nun, es gibt keinen Grund für mich, meinen Namen einer Person wie deinesgleichen anzusagen. Laß es einfach darauf beruhen, daß ich ein würdiger Gegner (guter Fang) bin."
Später entdeckte Naozane in einem Brokatbeutel am Gürtel des jungen Taira eine Flöte, und ein Schwall von Mitleid überkam Naozane, als er erkannte, daß es das Flötenspiel von Atsumori war, dem er im Morgengrauen vor der Festung gelauscht hatte. Keiner der "zehntausend Reiter" der Minamoto hätte eine Flöte auf die Expedition mitgenommen. Naozane bemerkt später: "Es gibt nichts schmerzlicheres als das Leben eines Mannes von Bogen und Pfeil. Wenn ich nicht in das Haus eines Kriegers (Bugei) geboren worden wäre, hätte ich diese unglückselige Erfahrung nie machen müssen. Die Qual, ihn so kalt zu töten." Das ist eine eindrucksvolle Erklärung gegen die Grausamkeit des Kriegshandwerkes, und die Passage ist um so beeindruckender, da sie von einem niederrangigen Krieger stammt, dessen ganzes Leben praktisch aus Kampf und Töten bestand.
Auch wenn es nicht in der Heike niedergeschrieben ist, so ist in anderen Geschichten überliefert, daß sich Naozane später einem religiösen Leben widmete. Nach dem Gempai-Krieg soll er die Tonsur, das buddhistische Gelübte, abgelegt und seine Weisungen direkt von Hounen, dem Gründer der Sekte des "reinen Landes" erhalten haben. Historisch ist nachweisbar, daß Naozane sein Gelübte 1192, sieben Jahre nach Ende des Gempai-Krieges, ablegte. Der wahrscheinlichste Grund für diesen Sinneswandel war jedoch die Frustration wegen eines langanhaltenden Streits um Landbesitz. Doch in den Geschichten ist das Versprechen, sich um die Seele von Atsumori zu kümmern, der Grund für Naozane, ein Priester zu werden. So ging Naozane in die Geschichte ein, um als Mönch Rensei in dem Nou-Stück "Atsumori" aus der Muromachi-Zeit wieder aufzuleben, der die Stelle der Schlacht von Ichi-no-Tani besucht, um für Atsumori zu beten.
Wenngleich Atsumori nur einen kurzen Auftritt in der Heike Monogatari hat, ist er doch ein denkwürdiger Charakter. Er ist mit seiner Eleganz ein Symbol für die Ise-Taira, die den Hofadel als führende Elite des Landes während des tumultvollen Überganges zum Mittelalter verdrängten und nun ihrerseits vom Schwertadel der Provinzen verdrängt wurden. Atsumori war, schon wegen seiner Jugend, vermutlich nicht sonderlich stark und kein ernstzunehmender Gegner für den kampferprobten Naozane, wenn auch im Gempai Seisui Ki berichtet wird, daß Atsumori einen guten Kampf lieferte. Dennoch, indem sich Atsumori der Herausforderung stellte, offenbarte er ungewöhnlichen Edelmut. Die Heike ist zwar voll von Heldentaten, doch nur wenige konnten sich einer Bewunderung erfreuen wie Atsumori. Dies liegt wahrscheinlich daran, daß sein Kampf eher eine noble aber bedeutungslose Geste war; der Höfling opfert sich selbst dem ungestümen Krieger, der dabei war, seine Welt zu überrennen.
Taira Shigehira
Als Sohn von Kiyomori war der historische Shigehira einer der fähigsten Generäle der Taira, auch wenn dies in der Heike Monogatari nicht zum Ausdruck kommt, da sich dieses Werk weit mehr auf die Überlegenheit der Minamoto konzentriert als auf die Siege der Taira während des Gempai-Krieges. So sind einige Erfolge von Shigehira nicht einmal erwähnt, andere werden Verwandten zugeschlagen.
Shigehira wurde zum meistgehaßten Taira nach Kiyomori, da man ihn für die Niederbrennung der bedeutendsten Tempel in Japan, Toudai-ji und Koufuku-ji in Nara 1180 verantwortlich machte. Für die Menschen, die damals glaubten, in der Zeit des Mappou, des Niedergangs der Welt zu leben, war die Zerstörung der Tempel, die vom Kaiserhaus und den Fujiwara beschirmt wurden, das Symbol für die Zerstörung der japanischen Nation selbst. Heike zitiert die angeblichen Worte von Kaiser Shoumu, dem Erbauer des Toudai-ji: "Wenn mein Tempel gedeiht, dann gedeiht das Reich, wenn mein Tempel untergeht, wird auch das Reich untergehen." Und Heike kommentiert weiter: "Und es scheint somit, daß das Reich dem Untergang geweiht ist."
Nach der Niederlage bei Ichi-no-Tani versuchte auch Shigehira, die rettenden Boote zu erreichen, er wurde jedoch aufgehalten und lebend gefangen genommen, ein höchst unübliches Vorgehen. Shigehiras Gefangennahme resultierte hauptsächlich aus der Feigheit eines Verbündeten. Nur wenige namentlich erwähnte Krieger der Heike sind als Feiglinge gebrandmarkt, während die große Mehrheit der Krieger in den Geschichten Mut und manchmal sogar außergewöhnliche Tapferkeit zeigten. Shigehira wurde zum Verhängnis, von seinem Stiefbruder Morinaga begleitet worden zu sein. Beide ritten zu den Booten, als Shigahiras Pferd von einem Pfeil getroffen wurde, ein Glückstreffer aus beachtlicher Distanz, doch seine Flucht war damit zunächst gestoppt. Morinaga ignorierte jedoch die Rufe von Shigehira und fürchtete wahrscheinlich, daß dieser sein Pferd beschlagnahmen würde, so daß er die verräterischen Abzeichen auf seiner Rüstung verbarg und so schnell wie möglich davonritt. Man nannte ihn daraufhin eine "ehrlose Person". Alleingelassen, versuchte Shigehira sich zu ertränken, doch das Wasser war zu seicht. Also zog er seinen Dolch und wollte sich damit töten, doch seine Verfolger hatten bereits aufgeschlossen und nahmen ihn gefangen. In den meisten Fällen wurden die Gefangenen sofort exekutiert und ihre Häupter zusammen mit den anderen bei der traditionellen Inspektion der Köpfe ausgestellt. Hochrangige Gefangene hatten jedoch oft eine öffentliche Demütigung vor ihrer Hinrichtung zu erleiden. Shigehira sollte allerdings eine weit längere Gefangenschaft erdulden.
Ausgetragen im zweiten Monat des Jahres 1184 an der Küste der Inlandsee markiert die Schlacht von Ichi-no-Tani die erste große Niederlage der Taira seit ihrer Flucht aus Kyoto ein Jahr zuvor. Zehn der näheren Verwandten von Kiyomori wurden getötet, einer gefangengenommen. Der einzige Hoffnungsschimmer war die gelungene Flucht des Kaisers Antoku nach Yashima, der Taira-Basis auf Shikoku.
Nächstes Mal (jikai):
Der Soldat und der (Ex-)Kaiser
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