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Oniisama e - Liebster Bruder...

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Autor: Stefan Nesemann
Artikel erschienen in: FUNime Nr. 23, Seite 20, Oktober 2001


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Eine der beliebtesten Anime-Serien in Deutschland dürfte mit Sicherheit die RTL 2-Serie Lady Oscar sein. Nichtsdestotrotz wird weder dieser noch einer anderen Serien von IKEDA Riyoko die Aufmerksamkeit geschenkt, die ihr zweifelsohne gebührt.

Oniisama e Das mag zum Teil wohl auch an der vorurteilsbehafteten Einstellung liegen, daß das alles ja "schon so alt" sei und es ohnehin nichts Neues mehr von IKEDA Riyoko geben würde. Doch weit gefehlt!
Im Jahre 1991 überraschte die Firma Tezuka Productions die japanische Otaku-Gemeinde mit einem wohl eher ungewöhnlichen Novum namens Oniisama e (etwa: „Allerliebster Bruder“), einer Anime-Serie, die auf einer zu diesem Zeitpunkt bereits 16 Jahre alten Manga-Serie basiert (die überdies mit ca. 500 Seiten recht kurz ist).

Die Serie handelt davon, wie die junge Nanako zusammen mit ihrer Sandkasten-Freundin Tomoko in ein überdurchschnittlich vornehmes Internat für höhere Töchter, der Seiran Academy, aufgenommen wird, wo sie einer Reihe von äußerst eigentümlichen Menschen begegnet, allen voran den Mitgliedern der sogenannten Sorority, einer mysteriösen und elitären Institution, die im steten Mittelpunkt des Interesses nahezu aller Internatsschülerinnen steht. Als Nanako wider eigenes Erwarten in die Sorority aufgenommen und zudem unter die besondere Fürsorge der Präsidentin des Zirkels, ICHINOMIYA Fukiko, genannt „Miya-sama“, genommen wird, gerät sie in einen Alptraum ungeahnten Ausmaßes, der sie nach und nach mit Selbstmord, Inzest, Drogenproblemen u.a. konfrontiert und Stück für Stück ihre heile Welt aus den Angeln zu heben droht.

Oniisama e Bei dieser 39-teiligen Serie, hervorragend in Szene gesetzt von SUGINO Akio und DEZAKI Osamu (u.a. Black Jack, Cobra), handelt es sich um ein an Dramatik und Tragik kaum zu überbietendes Shoujo-Abenteuer, das einfach traumhaft schön animiert ist und dabei sogar noch manche OVA in den Schatten zu stellen vermag. Die Zusammenstellung der Farben sowie deren gekonnter Einsatz zur Vermittlung der eleganten Atmosphäre des Internats, die sich zudem auch noch stets den gerade vorherrschenden Emotionen anzupassen scheinen, verleihen Oniisama e einen besonderen Reiz, dem sich wohl kaum einer entziehen kann, egal ob man nun Lady Oscar-Fan ist oder nicht. Und auch der gezielt eingesetzte Gebrauch von visuellen Metaphern (z.B. Wolken über dem Sorority-Haus oder eine urplötzlich gegen ein Fenster fliegende schwarze Vogelsilhouette) weiß atmosphärisch zu überzeugen und stellt eine Besonderheit dieser Serie dar.

Oniisama e Charaktere wie z.B. SHINOBU Mariko, die Nanako ihre Freundschaft förmlich aufzwingen will und zudem die Gratwanderung zwischen einer intriganten Femme fatale - die sich auch nicht scheut, für ihre Zwecke eine Sandkasten-Freundschaft zu zerstören - sowie einer im Notfall stets (mit Wort und vor allem auch mit Tat!) zur Seite stehenden Freundin meisterlich beherrscht, oder auch die von Haß zerfressene Aya, deren vornehme und wohlerzogene Fassade noch im gleichen Moment lawinenartig zu zerbröckeln beginnt, als sie ihr sicher geglaubtes Erbrecht auf einen Platz in der Sorority zugunsten von Nanako gefährdet sieht, bilden den trotz ihrer Überzogenheit glaubwürdigen Hintergrund für ein Theaterstück, das sich Leben nennt und mit all den Intrigen und dem Mobbing leider nur allzu gut in unsere heutige Zeit paßt.

Oniisama e IKEDA Riyoko hat mit dieser Serie meisterhaft bewiesen, daß man den Wert einer Manga- oder Anime-Serie am Alter allein gewiß nicht messen kann, denn der Bezug zur Gegenwart (und somit zur vielgepriesenen Aktualität, auf die die Comicverlage, Fernsehsender und auch Videofirmen so ungemein viel Wert legen, oftmals zu Lasten der Qualität), ist bei Oniisama e zweifelsohne gegeben. Und dies mag wohl auch den Ausschlag gegeben haben, als sich im Jahr 1991 eine japanische Produktionsfirma bereiterklärt hat, das Wagnis einzugehen und für den Fernsehsender NHK eine Anime-Serie ins Leben zu rufen, deren literarische Vorlage zum Zeitpunkt des Entstehens bereits 16 Jahre alt war... Dabei sind in Japan in den letzten Jahren durchaus auch andere ältere Serien recycled worden. Allerdings handelt es sich dabei meist um neue Staffeln zu einer bereits vorhandenen älteren Serie, wohingegen Oniisama e jedoch eine Neuverfilmung, und damit schon etwas Ungewöhnliches ist.

Oniisama e Nebenbei erwähnt werden insbesondere gerade auch Lady Oscar-Fans an dieser Serie ihre Freude haben, zumal sie mit Saint-Juste-sama bzw. ASAKA Rei und ORIHARA Kaoru, genannt Kaoru-no-Kimi, zwei alten Bekannten, nämlich Oscar und André, wiederbegegnen, da diese ihren berühmten Vorbildern wie aus dem Gesicht geschnitten sind, wenn auch ihre Persönlichkeiten völlig unbekannte Seiten aufweisen. So z.B. bei Lady Oscar-Verschnitt Sainte-Juste-sama, die ihre Haßliebe zu Miya-sama mit Drogen zu betäuben versucht. Welch Widersinnigkeit übrigens gerade in diesem Kontext, daß man ausgerechnet ihr den Spitznamen „Saint Juste“ verpaßt hat. Reinkarnation? Wer weiß...

Oniisama e Der Titel der Serie, Oniisama e, bezieht sich übrigens darauf, daß Nanako einem für sie an sich Wildfremden, HENMI Takehiko, der früher einmal ihr Lehrer war (und darüberhinaus noch eine besondere Bindung zu ihr hat, von der sie jedoch noch nichts weiß), in ihren Briefen an ihn ihr Herz ausschüttet (und sich ihn quasi als Bruder aussucht). Dies hat für den Zuschauer u. a. den Vorteil, daß man die emotionale Tortur von Nanako im Laufe der Serie sozusagen hautnah miterleben kann.

In Japan ist zu Oniisama e neben dem Original-Manga noch ein achtbändiger Anime-Filmmanga erschienen (sucht nicht, er ist bereits lange vergriffen), ansonsten ist aber kaum Merchandise zu dieser Serie bekannt.

Oniisama e Leider ist es nicht sehr leicht, an diese Serie heranzukommen. Die wohl einzige kommerzielle Verfügbarkeit besteht in einer ursprünglich für das französische Fernsehen bearbeiteten Synchronfassung namens Très chere frère, die beim Label „MangaPower“ in zehn Tapes auf Video veröffentlicht wurde. Interessant ist diese Fassung vor allem, weil es neben der üblichen SECAM-Fassung auch eine kleine PAL-Auflage für die französischsprachigen Teile der Schweiz und Belgiens gab, von der zumindest die Volumes 1 und 2 bis vor kurzem auch hierzulande noch erhältlich waren. Auch in Italien hat es eine Videoveröffentlichung unter dem Titel Caro Fratello gegeben, jedoch scheinen sich hier in Hinsicht auf einen Import wohl noch unüberwindlichere Hindernisse aufzutun, jedenfalls wird sie von keinem der bekannten Händler in Deutschland geführt. Von den Folgen 1 bis 32 (wird noch fortgesetzt) gibt es aber glücklicherweise auch einen hervorragenden englischen Fansub, der für den interessierten Fan wohl die einzige Rettung darstellt.

Oniisama e Da eine deutsche Veröffentlichung leider ziemlich aussichtslos erscheint, bleibt mir abschließend nur der Tip an diejenigen unter euch, die auch auf eher ernstere Anime stehen, euch dieses Meisterwerk, sofern ihr irgendwie die Möglichkeit habt, schnellstmöglich zu sichern, egal in welcher Sprachfassung. Denn ihr verpaßt ein wirklich packendes Shoujo-Drama, das man so schnell nicht wieder vergißt...

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Oniisama e
TV-Serie, 39 Folgen, Japan 1991
   
Engl. Titel: Brother, Dear Brother
Von den Folgen 1-32 existiert ein engl. Fansub
   
Manga: erschienen 1973-74 im "Margaret Magazine" (Shueisha)
Mangaka: IKEDA Riyoko
Später als 3teilige Tankoubon-Reihe erschienen
   
Siehe auch den Bericht über den Oniisama e-Manga in der FUNime Nr. 12+1
(Februar/März 2000) auf Seite 28!

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