anime no tomodachi ...
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Leseprobe der FUNime Nr. 33 (3/2003)

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Inhaltsverzeichnis
Editorial
Geneshaft - Die Zukunft der Gene
Read or Die - Bibliothekarin auf Abwegen
Saber Marionette R - Knuffiger Blutrausch?
Yatsubato! - Der Wahnsinn ist zurück, mit grünen Haaren
Mahô sensei Negima! - Harry Potter trifft Love Hina
Anime in der DDR


Anime in der DDR

In diesem Beitrag soll ein relativ unbekanntes Kapitel der deutschen Animegeschichte behandelt werden, bevor es gänzlich verjährt - oder durch Mutmaßungen der Nachwelt mangels Augenzeugenberichten verfälscht wird.

Der gestiefelte Kater

Die zwölf Monate

Die Anime-Filme im DDR-Fernsehen:

Däumelinchen, Originaltitel: Andersen Dowa - Oyayubihime (64 min), Toei Doga 1978
 
Schwanensee (als RTL-Ausstrahlung auch: Swan Lake), Originaltitel: Hakucho no Mizumi (75 min), Toei Doga 1981
 
Die Schwanenprinzessin, Originaltitel: Hakucho no Oji (62 min), Toei Doga 1977
 
Ali Baba und die vierzig Räuber, Originaltitel: Ali Baba to Yonjuppiki no Tozoku (55 min), Toei Doga 1971
 
Die Schatzinsel, Originaltitel: Dobutsu Tarakajima (78 min), Toei Doga 1971
 
Der gestiefelte Kater reist um die Welt, Originaltitel: Nagagutsu o Haita Neko 80 Nichikan Sekai Isshu (68 min), Toei Doga 1976
 
Taro, der Drachenjunge, Originaltitel: Ryu no Ko Taro (75 min), Toei Doga 1979
 
Die kleine Meerjungfrau, Originaltitel: Andersen Dowa - Ningyo Hime (68 min), Toei Doga 1975
 
Die zwölf Monate, Originaltitel: Mori wa Ikiteiru (64 min), Toei Doga 1980
 
Aladin und die Wunderlampe, Originaltitel: Aladin to Maho no Lamp (65 min), 1982
 
Zwei der Filme gibt es bereits in Japan als DVD zu kaufen: Dobutsu Tarakajima (DSTD02104) und Nagagutsu o Haita Neko 80 Nichikan Sekai Isshu (DSTD02164).
 
Ganz aktuell: Schwanensee (bzw. Swan Lake) ist unter dem Titel Die Schwanenprinzessin jetzt auch bei uns auf DVD erschienen, bei Madison Home Video, Best.-Nr. 60101, zum Listenpreis von 9,99 Euro. Allerdings enthält die DVD nicht die DEFA-Synchro, sondern eine nicht ganz so gute Neu-Synchronisation. Der „richtige“ Film Die Schwanenprinzessin ist dagegen zur Zeit nicht erhältlich.

 

Die 3 russischen Zeichentrickfilme:

Das bucklige Pferdchen, Originaltitel: Konjok-gorunok (58 min), 1947, Japan-DVD-Code: IVCF-2105
 
Die zwölf Monate, Originaltitel: Dwenazatj Mesjazew (49 min), 1956, Japan-DVD-Code: IVCF-2106
 
Die Schneekönigin, Originaltitel: Snjeschnaja Koroljewa (63 min), 1957, Japan-DVD-Code: IVCF-2107

Warum über Anime in der DDR wenig bekannt ist, hat seine Gründe. Zum einen gab es zur DDR-Zeit keine Videorecorder oder VHS-Kaufkassetten, es sei denn, man besaß Westgeld, mit dem man in sogenannten „Intershops“ die Produkte der westlichen Welt etwas überteuert erwerben konnte. Erst kurz vor der Wende kamen Videorecorder in die öffentlichen Kaufhäuser, und das zu satten Preisen von 4.000 M (Mark der DDR). Dennoch gab es in diesen Tagen einen Run, und ich entsinne mich, daß jemand sagte: „Ich nehme gleich zwei! Noch einen für Oma!“ Für mich waren sie unerschwinglich, lag das normale Einkommen doch bei etwa 1.500 M netto, Studenten hatten mit ca. 500 M noch weniger. Und selbst wer ein solches Gerät erstand: Wo sollten die Kassetten herkommen? Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß heute vermutlich keine VHS-Aufzeichungen der Anime-Ausstrahlungen existieren.

Ein zweites Manko war die Verfügbarkeit einer Fernsehprogrammzeitschrift. Die Tagespresse druckte in der Regel das TV-Programm erst ab 19 Uhr ab, die Zeitung des Politorgans „Neues Deutschland“ schon ab etwas eher, aber ohne große Beschreibungen der Filme. Die Zeitung kam um halb neun, das Frühprogramm war da meist schon durch. Wer es genauer wissen wollte, brauchte die „FF dabei“, die allerdings wegen der Planwirtschaft eine zu geringe Auflage hatte: Auf ein 3.000-Seelen-Dorf kamen etwa 25 Exemplare auf Zuteilung. Wer da keine Verkäuferin persönlich kannte, sah kaum ein Exemplar. Wenn überhaupt, gerieten kurz mal vier der Exemplare in den offiziellen Verkauf, der Rest ging unter dem Ladentisch fort. Wer diese Zeitschrift erwarb, konnte nun genau nachlesen, was die TV-Sender DDR I und DDR II sowie die Radiosender ausstrahlten. Mehr nicht. Leute mit Westantenne konnten sich samstags oder sonntags hinzusetzen und die „ARD-Programmvorschau“ beziehungsweise „ZDF-Programmvorschau“ mitstenografieren, um zu erfahren, was die Woche so brachte. Alles andere an Sendungen wurde zufällig entdeckt. Soweit die Bedingungen der Zuschauerseite.

Aufgrund von Devisenmangel konnte sich die DDR-Wirtschaft keine Lizenz für Disney-Zeichentrick leisten. Disney lizenzierte zu dieser Zeit eh kaum für das deutsche Fernsehen, selbst für das westliche nicht, nur für Kinoaufführungen. Daher sah sich der Einkauf nach anderen Zeichentrickquellen um und wurde in Japan fündig. Man erstand ein Paket Märchenfilme von Toei-Animation, dem japanischen Studio, das zu dieser Zeit Disney am ehesten das Wasser reichen konnte (Ghibli sollte erst sechs Jahre später beginnen zu existieren). Der genaue Umfang des Pakets ist mir nicht bekannt, ich kann lediglich die Filme nennen, an die ich mich noch erinnern kann, da sie zur Ausstrahlung kamen: Däumelinchen, Schwanensee, Die Schwanenprinzessin, Ali Baba und die vierzig Räuber, Die Schatzinsel, Der gestiefelte Kater reist um die Welt, Taro der Drachenjunge, Die kleine Meerjungfrau, Die zwölf Monate und Aladin und die Wunderlampe. Möglicherweise hat es aber noch mehr gegeben. Wofür keine deutsche Synchronisation existierte, wurde damals in den staatlichen Synchronisationsstudios der DEFA in Potsdam-Babelsberg synchronisiert. So geschah es auch mit diesen Anime.

Die Programmgestalter hatten ein Herz für Kinder und dachten sich die Tradition aus, am Weihnachtsnachmittag über Jahre hinweg einen dieser Anime anzusetzen, der zeitlich etwa zwischen 17 und 18 Uhr lief und den Kindern das Warten auf die Bescherung mit einem dieser schönen Märchen verkürzte. So wußte man gleichzeitig, wann man einen Anime zu sehen bekam und nach ihm in den Programmzeitschriften zu suchen hatte. Ich bedauere, daß diese Ausstrahlungstradition später abgebrochen wurde und auch heute nicht mehr bei ORB oder MDR zu finden ist, obwohl diese Sender als Rechtsnachfolger des DDR-Fernsehens die Filme in ihren Archiven haben müßten. Wenn man bedenkt, daß um diese Zeit der Baum mit Lichterpracht im Wohnzimmer stand, wirkte diese Ausstrahlung damals wie ein zusätzliches Geschenk.

Der gestiefelte Kater reist um die Welt bildet aus der obigen Aufzählung eine Ausnahme, denn ihm wurde die Ehre zuteil, in den siebziger Jahren als Bestandteil des offiziellen Kinoprogramms der DDR aufgenommen zu werden. Das schaffte später erst wieder Akira, doch bis dahin vergingen mehr als zehn Jahre.

Kurz nach dem Ende der DDR geschah es, daß unerwartet 1990 erstmals eine Anime-Serie im noch ausstrahlenden DDR-Fernsehen zur Aufführung kam: Die geheimnisvollen Städte des Goldes. Der Sender DFF II war bereits liquidiert, und mit dem Sender DFF I, der diese Serie zeigte, geschah aufgrund des Staatsvertrags im Dezember das gleiche. So wurde aufgrund der Abwicklung des Senders die Ausstrahlung der Städte nach Folge 20 jäh abgebrochen. Wenn man das Niveau der Synchronisation dieser Serie mit dem der heutigen Anime-Produktionen vergleicht, überkommt einen ein leises Bedauern, daß heute nicht mehr mit dieser Sorgfalt und Liebe produziert wird. Vielleicht kann sich ja eine der deutschen Animevertriebsfirmen entschließen, die alten hier genannten Klassiker mit ihrer hervorragenden Synchronisation als DVD zu veröffentlichen, wie es bei den Städten bereits der Fall ist.

Während die Städte des Goldes später sowohl auf ORB als auch MDR gelaufen sind, tauchte von den alten Klassikern nichts im Programm der neuen Sender auf. Allein Schwanensee wurde unter dem Titel Swan Lake in den letzten Jahren bei RTL im Frühprogramm an Feiertagen mehrfach gezeigt.

Erwähnenswert seien noch die drei russischen Zeichentrickfilme, die im DDR-Fernsehen kamen: Das bucklige Pferdchen, Die zwölf Monate und Die Schneekönigin. Einer dieser Filme erhielt seinerzeit in Cannes einen Preis und wurde von Isao Takahata wahrgenommen, was sich auf sein späteres Schaffen auswirkte. Auch diese drei Filme sind in Japan als DVD erschienen, wobei Das bucklige Pferdchen sogar die russische Originaltonspur enthält. Hierzulande ist derzeit allerdings keine Veröffentlichung der drei Filme auf DVD in Aussicht.

Gunnar

   

   
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