anime no tomodachi ...
...    

Leseprobe der FUNime Nr. 22

    ...

Editorial
Interview mit der Gesangsgruppe Miyu
Marco - The Movie
Saber Marionette J - Androiden mit Herz
Sen to Chihiro no Kamikakushi
Replicant - Die Garage Kits-Bibel
Shade
Garou - Mark of the Wolves
Natsumatsuri

Sen to Chihiro no Kamikakushi

Der neue Ghibli - gerade in Japans Kinos angelaufen

Die zehnjährige Ogino Chihiro ist von dem Umzug in eine Kleinstadt nicht gerade begeistert, doch selbst in ihren wildesten Träumen (oder Albträumen) hätte sie sich nicht vorstellen können, was sie wirklich erwartet…

[pic #1]

[pic #2]

Sen to Chihiro no Kamikakushi

©2001 Nimaryoku, TGNDDTM
Idee, Szenario, Aufsicht: Miyazaki Hayao
Leitender Produzent: Tokuma Yasuyoshi
Musik: Hisaishi Joe
Regie: Andou Masashi
Künstlerische Leitung: Takeshige Youji
Animation: Gainax, AIC, Madhouse (u.a.)
Spieldauer: 125 Minuten

Denn auf der Anfahrt zum neuen Heim verfährt sich ihr Vater und landet auf einem Feldweg, der an einem seltsamen Tunnel endet. Aus Neugier wird dieser durchquert. Auf der anderen Seite findet sich eine scheinbar absolut verlassene Ansammlung von Häusern. Doch als es Nacht wird, ist das Städtchen auf einen Schlag mit Leben erfüllt - wenn das überhaupt der richtige Ausdruck ist für eine Bevölkerung aus furchterregenden Geister- und Märchengestalten.

Doch es kommt noch schlimmer: Chihiros Eltern haben sich in Schweine verwandelt, der Rückweg endet plötzlich an einem Seeufer, und sie selbst erregt als einziger Mensch in der Menge recht unangenehmes Aufsehen. Immerhin findet sie in Haku einen Freund, einem Jungen, der ihr rät, in dem riesigen, die Stadt dominierenden Gast- und Badehaus als Putzhilfe anzuheuern. Dadurch hat sie zwar wenigstens eine Bleibe, doch der Hausherrin ist Chihiros Name auf dem Anstellungsvertrag zu lang, und sie kürzt ihn mittels Magie auf „Sen“ (das erste Kanji in „Chihiro“ in einer anderen Lesung) - und bald kann sich Sen nur noch verschwommen an ihre eigene Vergangenheit und ihren richtigen Namen erinnern! Sollte sie ihn ganz vergessen, so erklärt ihr Haku, wird sie für immer hier bleiben müssen und ihre Eltern landen im Kochtopf…

Soweit also das Szenario in dem langerwarteten neuesten Kinofilm aus dem Hause Ghibli. Im weiteren Verlauf der Geschichte lebt sich Sen in ihre neue Umgebung ein, gewinnt weitere Freunde und muß eine Reihe schreckenerregender Fabelwesen konfrontieren, um schließlich… aber wir wollen ja nicht die ganze Handlung verraten!

Auf jeden Fall ist Sen to Chihiro, wie eigentlich alle Ghibli-Filme, ein ziemlich einzigartiges Kleinod - und wer hätte auch etwas anderes erwartet? Dabei gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch grundlegende Unterschiede zu früheren Ghiblis. Dem Kenner läßt sich der Film vielleicht am besten beschreiben als eine Mischung aus der Dramatik und der teilweise düsteren Grundstimmung von Laputa sowie dem sense of wonder und der kindlichen Sicht auf eine Märchenwelt aus Totoro. Die komplexen Geflechte aus Politik und Ethik wie in Mononoke Hime fehlen hier hingegen völlig - die Story von Sen to Chihiro ist, wie bei Märchen üblich, relativ einfach gestrickt. Miyazaki Hayao, der das Studio Ghibli ja zwischenzeitlich verlassen hatte, an diesem Film aber doch wieder entscheidend mitwirkte, hat ihn ganz ausdrücklich vor allem für Kinder konzipiert. Doch das heißt natürlich nicht, daß man sich als Erwachsener langweilen würde.

Denn das hervorragende Merkmal von Sen to Chihiro ist die Erschaffung einer neuen, unbekannten Welt voller fremdartiger Wesen, deren Regeln, Freuden und Gefahren sich Sen, genauso wie dem Zuschauer, erst nach und nach erschließen. Dies wird hauptsächlich durch den enormen Detailreichtum und die Vielfalt in den Charakter- und Locationdesigns erreicht, die teilweise in der japanischen Sagen- und Märchenwelt verwurzelt, teilweise aber auch völlig neu erdacht und vor allem bis ins kleinste Detail durchdacht sind. Egal, ob es das gebührenpflichtige Heißwassersystem des Badehauses oder die altertümliche Fahrkartenentwertungsmaschine des Geisterzuges ist: alles macht irgendwie Sinn.

Die Charaktere sind allerdings, anders als in den meisten Märchen, keine Stereotypen, und der erste Eindruck täuscht oftmals: Eigentlich ist kaum einer der Hauptcharaktere ganz das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint. Sen selbst erscheint am Anfang als ziemlich zaghaft und ängstlich, gewinnt im Laufe der Geschichte jedoch deutlich an Mut und Selbstvertrauen. Rin, die sie in ihre Arbeit einweisen soll, benimmt sich zunächst schroff und abweisend, wird dann jedoch zu einer guten Freundin. Und Haku… aber das wäre schon wieder zu viel verraten.

Wer sich übrigens fragt, was der Name des Films bedeutet: Nun, Sen to Chihiro sind natürlich die beiden Namen des Hauptcharakters, doch Kamikakushi ist eine ziemlich schwer zu übersetzende Wortschöpfung, bestehend aus einer Kombination von „kami“, der generischen Bezeichnung für übersinnliche Wesen, und dem Verb „kakusu“, verstecken. Ghibli selbst hat als englische Übersetzung dafür „spiriting away“ gewählt, was wohl recht treffend ist, doch eine gute deutsche Übersetzung fällt mir jedenfalls nicht ein.

Kommen wir zur technischen Seite: Sen to Chihiro ist, nachdem der Wasserfarben-Stil von Tonari no Yamada-kun beim Publikum nicht so gut ankam, wieder komplett im altbekannten Ghibli-Stil gehalten. Und natürlich bewegt sich auch die Animationsqualität auf gewohnt hohem Niveau. Einige computeranimierte Szenen fallen etwas (so finde ich) negativ auf, nicht weil sie etwa künstlich aussehen würden, sondern weil sie sich durch superweiche, detaillierte Zooms einfach zu sehr vom normal animierten Rest des Films abheben; weniger wäre hier mehr gewesen. Die Synchronsprecher bieten eine ausgezeichnete Leistung, und die Musik von Hisaishi Joe fügt sich wie immer wunderbar stimmungsvoll in den Film ein. Das Abspannlied „Itsumo nando demo“, gesungen von Kimura Yumi, ist zwar ganz nett anzuhören, man vermißt aber irgendwie die sonst übliche Integration in den Film, die ja gerade bei Ghibli Tradition hat (man denke an Mimi o sumaseba / Whisper of the Heart!).

Stattdessen untermalt das Lied lediglich die Credits, die vor einem schwarzen Hintergrund vorbeiscrollen, während der Zuschauer den Film noch einmal geistig Revue passieren läßt -oder sich den schmerzenden Hintern massiert: Sen to Chihiro no Kamikakushi gelang es, den Besucherrekord von Mononoke Hime für die erste Woche zu brechen, und selbst am zweiten Wochenende war der Andrang noch so groß, daß die Kinos überfüllt waren und so mancher Zuschauer den Film nur auf dem Boden sitzend sehen konnte (!). Dies liegt jedoch auch an der etwas seltsamen Vertriebspolitik, wegen der der Film nur in einer relativ kleinen Zahl von Kinos läuft (in etwa jedem vierten oder fünften). Bei Animefilmen ist das (oder weniger) zwar auch in Japan die Regel, doch in diesem Fall war der Andrang ja eigentlich vorherzusehen, und der neue Pokemon-Film wird schließlich auch fast überall gespielt.

Noch eine interessante Notiz am Rande: Im Programmheft zu Sen to Chihiro findet sich auch ein wirklich interessant aussehender Artikel über das Ghibli-Museum in Mitaka, in dem endlich auch ein festes Datum für die Eröffnung angegeben wird: der 1. Oktober dieses Jahres.

Michael B.

   

   
...     home : archiv : FUNime : Leseprobe der FUNime Nr. 22 webmaster     ...