Eine Serie wird vorzeitig gekippt – immer ärgerlich. Aber bei der Erstausstrahlung?
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Nach seinem neuesten Schildbürgerstreich drängt sich einem, denkt man an RTL II,
unwillkürlich der Vergleich mit organisiertem Chaos auf. Bei der Flut von Umstellungen im Rest
des Programms mutet das Kinderprogramm schon fast als letzte feste Größe in der
Programmplanung des Senders an. Aber auch hier bleibt man nicht ganz verschont. Die WMT-Serie Daddy
Langbein sollte eigentlich schon Mitte letzten Jahres gezeigt werden. Nachdem der Termin bereits
einmal verschoben wurde, konnte RTL II das Versprechen "jedenfalls noch vor Weihnachten" ebenfalls
nicht einhalten. Erst im neuen Jahr ging die Serie auf Sendung.
Aber nicht für lange. Exakt nachdem die Hälfte der Folgen ausgestrahlt wurden, wurde
Daddy Langbein abrupt aus dem Programm genommen. Für die Fans, denen das nicht unbemerkt blieb,
hatte man auch schnell eine Antwort parat. Die Quoten waren schuld und RTL II muß ja
schließlich Geld verdienen. Nur seltsam, daß diese gar nicht so schlecht waren,
insbesondere im Vergleich zu den direkt benachbarten Sendungen. Da ist die Aussage von Tele
München, dem Lizenznehmer der Serie, um einiges glaubhafter. Von dort hieß es, die
Sendelizenz sei abgelaufen. Also nichts mit Quotenschreck. Sollte sich die Aussage einer großen
Tageszeitung bewahrheiten, RTL II verstehe unter PR zunehmends "Pinocchio Relations"? Hm.
Was vielmehr interessiert, ist die Frage, ob die Serie denn jemals wiederkommt. Ich rechne mir da
eigentlich ganz gute Chancen aus. Mit den WMT-Serien hat Tele Müchen eigentlich seit jeher
keinen schlechten Schnitt gemacht und ich denke, es wird sicher auch irgendwann eine neue Lizenz
erworben werden. Leider gibt es bei Daddy Langbein einen kleinen Wermutstropfen, und das ist die
Synchronisation. Die Serie ist zuvor von der Tele-München-Tochter Concorde Video als
Kaufkassette vertrieben worden. Und besonders hier wird häufig an der Synchronisation gespart.
Für das Fernsehen wurde nicht neu synchronisiert, und so kommt die deutsche Umsetzung von Daddy
Langbein unglücklicherweise nicht über das Niveau von etwa Die Abenteuer von Tom Sawyer und
Huck Finn oder Bob, der Flaschengeist hinaus. Dadurch wird sie meiner Meinung nach dem Inhalt der
Serie keinesfalls gerecht.
Wie (fast) immer bei den WMT-Serien, wartet die Serie allein schon wegen der Vorlage mit einer
soliden Story auf, auch wenn diese in der heutigen Zeit etwas altmodisch erscheint. Dafür gibt
es keine endlosen Wiederholungen von Handlungsschemas, die diversen Produktplanern als
zielgruppenkonform erscheinen, wie man das von anderen Serien ja zur Genüge gewohnt ist.
Das Waisenmädchen Judy Abbott bekommt eines Tages ihre große Chance. Ein
Wohltätigkeitsverein stiftet einem Kind im Waisenhaus ein Stipendium an einer High School, und
obwohl es anfangs gar nicht danach aussah, wurde Judy letzten Endes doch ausgewählt. Der
Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins gab den Ausschlag; ein Mann, der sich hinter dem Pseudonym
"John Smith" versteckt. Auch gesehen hat ihn Judy nur kurz. Und das auch nur im grellen Gegenlicht
seines Autos, in dem er kurz darauf unerkannt davonfuhr. Der lange Schatten, den er kurz vorher noch
geworfen hat, bringt ihm den von Judy ausgedachten Spitznamen Daddy Langbein ein.
An der High School angekommen, teilt sie sich ihr Zimmer im Schülerwohnheim mit der netten
Sallie und dem Snob Julia. Daß sie aus einem Waisenhaus stammt, versucht sie mit allen Mitteln
zu verbergen, und hier fangen ihre Probleme an. Darüber hinaus ist John Smith ein etwas
seltsamer Mensch. Judy schreibt ihm regelmäßig Briefe, aber nur selten kommt eine Antwort,
und meistens auch nur durch seinen Anwalt. Als ob er es darauf anlegt, so wenig wie möglich in
Erscheinung zu treten.
Aber gerade diese Passivität ist es, was die Serie so reizvoll macht. Dadurch wird Judy noch
mehr zur aktiven Person. Dadurch, daß sich hinter dem Adressaten von Judys Briefen eine
wirkliche Person verbirgt, sind ihre Briefe viel mehr als ein einfaches Tagebuch. Sie ist
fröhlich, wenn sie fühlt, daß ihr Daddy Langbein stolz auf sie ist und sie
schämt sich vor ihm für ihre Fehler. Sie packt ihren ganzen Frust und Zorn über seine
scheinbare Teilnahmslosigkeit in einen Brief und ist unendlich erleichtert und glücklich, als
schließlich doch eine Antwort kommt. Gerade das gehörte zu den schönsten Momenten in
der Serie. Eine Serie auch über das Erwachsenwerden.
Aber nicht, daß die ganze Serie bierernst wäre. Leichter und fröhlicher Humor
zieht sich durch alle Folgen dieser ersten Hälfte der Serie und ergeben einen Kontrast zu den
eher dramatischen Stellen. Diese sind mir eigentlich doch etwas zu dick aufgetragen, um mich
dafür wirklich begeistern zu können. Das tut aber dem positiven Gesamteindruck keinen
Abbruch. Nur schade, daß wir wegen der von höheren Mächten verordneten Zwangspause
nicht wissen, wie die Serie in der zweiten Hälfte weitergeht. Noch. Hoffentlich.
Taro
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