Als vor einiger Zeit die ersten Videos unter dem Label Anime Video in den Läden auftauchten, war
das Rätselraten unter den Fans groß. Doch inzwischen sollte sich herumgesprochen haben, daß hinter
diesem Namen die Schweizer Firma Anime Virtual steht, die für den deutschen Anime-Markt ehrgeizige
Pläne hat.

V.l.n.r.: Marco Stäuble (Geschäftsführer), Nicolas Guignard (Mitgründer von Anime Virtual) und Cécile Béran (Firmenvertreterin in Deutschland)
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Die Firma entstand eigentlich aus einer Reihe von Zufällen: der Schweizer Student Nicolas
Guignard (25) hatte 1994 von einem befreundeten französischen Anime-Produzenten das Angebot erhalten,
dessen Tapes in der Schweiz zu vertreiben. Daraufhin gründete er im Februar 1996 unter dem Titel
Anime Virtual einen Anime- und Manga-Vertrieb für Schweizer Fachhändler. Wenig später kam der
Theologiestudent (!) Marco Stäuble (26) dazu, ein Studienkollege von Nicolas an der Universität von
Lausanne und heute Geschäftsführer der Anime Virtual GmbH.
Im Herbst 1999 fiel die Entscheidung, auch selbst Anime-Videos zu produzieren. Der französische
Markt war bereits weitgehend gesättigt, und die Schweiz erschien als rentabler Absatzmarkt zu klein,
so daß sich Nicolas und Marco dem deutschen Markt zuwandten. In Dietzenbach in der Nähe von
Frankfurt/Main wurde eine deutsche Anime Virtual-Filiale eingerichtet, und die Veröffentlichung von
Anime-Videos sollte beginnen. Allerdings hatte man zunächst wohl die Tücken der Herstellung
unterschätzt: "Wir hätten die Filiale in Deutschland später gründen sollen - wir waren zwar sehr
schnell in Deutschland, aber die Produktion dauerte sehr lange", gibt Nicolas heute offen zu. Das
Anime Virtual-Angebot wuchs zunächst langsamer als erhofft, dazu kamen noch die Unkenntnis über die
Verhältnisse innerhalb der deutschen Fanszene und unzureichende Werbung in eigener Sache.
Heute hat man bei Anime Virtual aus diesen Fehlern gelernt. Die Firma hat fünf fest Angestellte,
die von zehn Mitarbeitern auf Honorarbasis (z.B. Grafiker, Übersetzer und Untertitler) unterstützt
werden. Die Vertretung für Deutschland hat Cécile Béran (26) übernommen, eine ehemalige WG-
Mitbewohnerin von Marco. Und die Produktion ist inzwischen erheblich besser eingespielt: "Alle fünf
Wochen werden jeweils drei Kassetten veröffentlicht", erklärt Marco. Das Angebot von Anime Virtual
(Stand: März 2001) umfaßt bisher drei Serien in zwei Labels: bei Anime Video (AV) erscheinen Iria -
Zeiram the Animation (siehe FUNime 17, S. 28) und El Hazard (die TV-Serie, Review in dieser FUNime-Ausgabe),
und bei Erotic Video Animation (EVA) die Soft-Hentai-Serie Fencer of Minerva. Weitere
Serien sind bereits angekündigt: bei AV werden voraussichtlich ab Ende April Please Save My Earth
unter dem Namen Reinkarnation und ab Ende Mai Utena erscheinen, EVA setzt sein Programm bald mit Agga
Rutter fort.
Wie entstehen eigentlich die Videos? Die Lizenzen werden direkt in Japan gekauft (übrigens der
teuerste Teil der gesamten Herstellung), und nach Erhalt des Originalmaterials kommt zuerst die
Übersetzung, für die meistens ein englisches oder französisches Skript als Vorlage dient. Die fertige
deutsche Übersetzung wird dann anhand des japanischen Originals noch einmal auf Fehler überprüft,
anschließend geht es ans Montieren der Untertitel und die Herstellung eines Masterbandes. Dieses wird
zusammen mit ersten Vorschlägen für das Cover-Design für die Festlegung der Altersfreigabe an die
deutsche FSK geschickt. Ist alles abgesegnet, geht das Masterband ins Kopierwerk und das fertige
Cover-Layout in die Druckerei. Kommt es bei einem dieser vielen Schritte zu Verzögerungen, so wirkt
sich das natürlich erheblich auf die Dauer der Produktion aus. Aber Anime Virtual bemüht sich darum,
den Zeitraum zwischen Lizenzkauf und Veröffentlichung der Videos so kurz wie möglich zu halten, denn
es wäre sinnlos und teuer, bereits gekaufte Rechte längere Zeit "auf Halde" liegen zu lassen.
Für die Zukunft hat man sich viel vorgenommen: Wenn alles klappt, soll schon im Sommer 2001 Iria
auf DVD erscheinen - und zwar in Zusammenarbeit mit einem französischen Produzenten, so daß nicht nur
die japanische und die deutsche, sondern auch die französische Version enthalten sein werden. Bei
guten Verkaufszahlen sind weitere Anime-DVDs dann nicht ausgeschlossen. Und daß bei Anime Virtual
bisher nur deutsche Subs produziert werden, könnte sich ebenfalls noch ändern: "Bei großer Nachfrage
kann es sich schon lohnen, eine [deutsche] Synchronfassung zu machen, aber dann wollen wir auf jeden
Fall eine gute Synchronisation. Lieber warten wir länger, bis wir sicher sein können, daß sich der
größere Aufwand für eine gute Synchronisation lohnt, als daß wir ein schlechtes Produkt
herausbringen", bekräftigt Marco.
Zusätzlich wird die Kommunikation mit den Anime-Fans erheblich ausgeweitet. "Wir wissen
natürlich, daß viele Fans uns noch nicht kennen - anfangs hatten wir vor allem mit Händlern Kontakt.
Wir brauchen die Fans, weil wir wissen müssen, was wir verbessern können", sagt Cécile. Dazu gehören
eine ausgedehnte Werbekampagne und die rasche Einrichtung einer eigenen Homepage ebenso wie der
persönliche Kontakt zu Fans auf Anime-Cons wie z.B. dem Anime Marathon oder der AnimagiC. Und
selbstverständlich kann sich jeder Fan mit Vorschlägen oder Kritik auch direkt an Anime Virtual
wenden: "Ideen für neue Titel sind immer willkommen, auch wenn wir natürlich nicht alles kaufen
können. Aber wir wissen dann auf jeden Fall, in welche Richtung wir gehen sollen", erklärt Cécile
abschließend.
Marcus T.
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