Stellt Euch vor, der neueste Ghibli-Film kommt auf DVD raus und keiner nimmt Notiz
Tonari no Yamada-kun
Bestellnummer: VWDZ-8030
Ländercode: 2 (NTSC)
Länge: 104 Minuten
Sprache: Japanisch
Untertitel: Englisch, Französisch, Japanisch
Preis: ¥4.700 (ca. 82 DM)
Links:
Kaguya Hime
Japanese Stories
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So könnte man überspitzt die Situation beschreiben, die sich nach dem Erscheinen von
Tonari no Yamada-kun (Meine Nachbarn, die Yamadas) auf DVD darstellte. Obwohl mit englischen
Untertiteln versehen, fanden sich nur wenige Fans, die diesen Film importierten.
Der Grund ist schnell gefunden und wird schon beim Blick auf das Cover, spätestens aber nach
den ersten Sekunden des Filmes klar: Tonari no Yamada-kun unterscheidet sich optisch deutlich
von allen anderen Studio Ghibli-Filmen. Nichts ist zu sehen von dem schon sprichwörtlichen
ghibliesken Characterdesign, denn der Film basiert auf den 4-Panel Mangas von ISHII Hisaichi,
die ähnlich der Comicstrips in unseren Zeitungen in der japanischen Tageszeitung Asahi Shinbun
abgedruckt werden.
Wie in den Strips wird auch in dem Film, unter der Regie von TAKAHATA Isao, in relativ kurzen
Szenen das Zusammenleben der Familie Yamada beschrieben und satirisch auf besonders japanische
Lebensgewohnheiten und Umstände angespielt.
Niemand sollte nun aber von dem einfachen Characterdesign auf die Qualität der Story oder
der Animation schließen, denn das wäre ein großer Fehler. Yamada-kun gehört mit zu den
interessantesten und wohl auch lustigsten Filmen, die letztes Jahr auf DVD rauskamen und
getreu des Mottos in den Trailern "koko wa nihon" (Das ist Japan), werden bewußt japanische
Verhaltensweisen und Traditionen, aber auch allgemein typisch menschliche Verhaltensweisen
aufs Korn genommen. Egal, ob beim Telefon(!)-Gespräch mit dem Chef sich nicht nur der Vater,
sondern im Hintergrund auch die ganze Familie verbeugt, der Vater vergeblich versucht,
seinem Sohn die wichtigsten Benimmregeln beim Umgang mit Eßstäbchen beizubringen, oder
einfach nur die Situtationskomik, die aus dem Satz "Ich brauche doch keinen Einkaufszettel"
entsteht, beschrieben wird, es vergeht kaum eine Sekunde in der man nicht zumindest schmunzeln
muß.
Gleichzeitig wird aber eindrucksvoll auch die Bedeutung des Familienlebens für jedes
einzelne Mitglied dieser Familie dargestellt. Einfache, aber in ihrer Wirkung doch
ergreifende Szenen, die einen zum Nachdenken anregen; wie überhaupt der ganze Film genügend
Gesprächsstoff für Diskussionen hergibt.
Dadurch, daß der Film aus einer Aneinanderreihung von einzelnen, kurzen Szenen besteht, kommen
niemals Längen auf. Allerdings sind einige Szenen für uns Europäer nur schwer verständlich,
da sie z.B. auf japanischen Erzählungen oder Redewendungen basieren, oder ihre Komik auf die
Verwendung des - auf Durchschnittsjapaner wohl erheiternd wirkenden - Kansei-Dialektes
zurückzuführen ist. Ein schönes Beispiel ist die Anfangsszene, in der die Eltern zuerst den
Sohn innerhalb eines riesigen Pfirsichs, der im Fluß treibt, finden und später der Vater die
Tochter beim Bambusschneiden innerhalb eines Bambusstammes. Beides Referenzen an in Japan
sehr bekannte Erzählungen: Momotaro (Pfirsichjunge) und Kaguya Hime (Mondprinzessin), deren
Inhalt man unter den am Ende dieses Artikels angegebenen Links zumindest teilweise nachlesen
kann.
Technisch ist die DVD sehr gut gelungen. Das Bild ist gestochen scharf und ruhig, der Ton
liegt sowohl als Dolby 5.1 als auch als DTS 5.1 vor und man kann zwischen englischen,
französischen und japanischen Untertiteln auswählen. Als besonderes Extra gibt es zu jeder
Szene des Films das dazugehörige Storyboard und bei etlichen Szenen auch die zu Grunde
liegende Mangaszene, so daß man komfortabel Manga, Storyboard und fertige Szene miteinander
vergleichen kann. Ebenfalls auf der DVD befindet sich ein kurzer Film, der zum Testen der
Animationsqualität genutzt wurde und der einfach durch das Abfilmen der handgezeichneten
Entwurfsskizzen entstand. Mit solchen Filmen wird die Flüssigkeit der Animation getestet,
bevor es zu den arbeitsintensiven Schritten wie Cleanup und Coloration geht, die in diesem
Fall wohl zum ersten Mal in der Geschichte Ghiblis ausschließlich am Computer stattfanden.
Zumindest die Farbgebung entstand vollständig am Computer, da die verwendeten
Wasserfarben-Effekte mit herkömmlicher Cel-Technik leider nicht machbar waren. Weitere Extras
sind Werbetrailer, Vorschauen auf die kommenden Ghibli DVD-Erscheinungen, sowie als Beilage
ein 24seitiger Manga, in dem die Charaktere vorgestellt werden, Witze über das zeitgleiche
Erscheinen von Yamada-kun und The Phantom Menace in den Kinos gemacht werden, sowie eine
Schlußszene, die den Mangaerfinder dabei zeigt, wie er 150 DVDs von Yamada-kun kauft, obwohl
er keinen DVD-Player besitzt.
Fazit: Leider lassen selbst langjährige Animefans sehr schnell einen Anime links
liegen, wenn ihnen das Characterdesign nicht zusagt. Ein Schicksal, das schon die auf
SuperRTL ausgestrahlte Animeserie Chibi Maruko Chan teilen mußte. Gerade als Animefan sollte
man über seinen eigenen Schatten springen und einen Film oder eine Serie zumindest mal
anschauen, auch wenn einem das Characterdesign auf den ersten Blick nicht zusagt.
Ich gehe davon aus, daß dieser Film auch auf dem Anime Marathon zu sehen sein wird, und wer
die Chance hat, sollte ihn sich dort auch ansehen. Eventuell entwickelt sich die schräge
japanische Version von Que sera ja zum heimlichen Karaoke-Hit des AM2001, oder die neue
Kampfsportart "Fernbedienungsstrahl mit Zeitung abblocken" wird in einem Workshop vorgestellt
Michael U.
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