Ich schlage die Programmzeitschrift auf, suche den Tag. Kurzes Blinzeln. Es ist tatsächlich
wahr: Dort steht es schwarz auf weiß und die Sensation ist perfekt.

Die letzten Glühwürmchen
Nach dem autobiographischen Roman von Nosaka Akiyuki
Originaltitel: Hotaru no Haka
Regie: Takahata Isao
Produktion: Studio Ghibli, 1989
Laufzeit: 85 Min.
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Kaum lagen die neuesten Programmhefte in den Regalen, wurde die frohe Kunde schon von besonders
aufmerksamen Teilnehmern der deutschen Anime-Mailingliste AnimeGer verbeitetet. Einer der
renommiertesten Filme des bekannten Studio Ghibli, das Kriegsdrama Hotaru no Haka, feierte seine
deutsche TV-Premiere auf Arte. Das darf durchaus als Meilenstein betrachtet werden, denn zum ersten
Mal präsentierte sich das Medium Anime mit einem Vertreter, der gar nicht so recht in eine der
Schubladen passen will, in die Anime so gerne gesteckt werden. Grund genug, dem Film nach dem
Review in der FUNime Nr. 1 einen weiteren Artikel zu gönnen. Zudem krönte die
Fernsehzeitschrift TV Spielfilm den Film zurecht zum "Tip des Tages". Traurigerweise können
sich Anime-Kritiker trotzdem noch herausreden (siehe S. 3).
Dies soll jedoch unserer Freude keinen Abbruch tun. Es ist auch erstaunlich genug, daß
Die letzten Glühwürmchen geschafft hat, was anderen bekannten Animes versagt blieb. Akira
schaffte es nur ins Pay-TV, Ghost in the Shell gibt es nur auf Video.
Japan, kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs. Der 14-jährige Seita und seine kleine Schwester
Setsuko leben mit ihrer Mutter in Kobe. Der Vater kämpft bei der Kriegsmarine. Bombenangriffe
der Amerikaner gehören zum grausamen Alltag. Bei einem der heftigsten Angriffe seit langem
verlieren die beiden Kinder nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Mutter, die im Lazarett ihren
schweren Brandverletzungen erliegt. Vorerst kommen sie bei ihrer Tante unter. Doch sehr bald wird
ihnen klar, daß sie dort nicht willkommen sind. Seita faßt den Entschluß, sich mit
Setsuko alleine durchzuschlagen. Dank einiger vorher gebunkerter Lebensmittel gelingt ihnen dies
vorerst, aber wie lange noch? Als Zuschauer wird man zwischen Hoffnung und Mitleid hin- und hergerissen,
obwohl der Film das Ende eigentlich vorwegnimmt.
Gerade daß er trotzdem zu fesseln vermag, ist die große Stärke des Films. Man wird in
die Geschehnisse hineingesogen, ist hautnah dabei, wie Seita und Setsuko um ihr Leben kämpfen.
Und man lernt sie kennen, als ob sie zur eigenen Familie gehörten, so überzeugend ist die
Charakterzeichnung. Ach Seita! Du fühlst dich mißverstanden und allein gelassen in dieser
Welt, in der sich scheinbar niemand um deine Belange kümmert. Aber siehst du nicht, daß
alle Menschen voneinander abhängig sind, besonders in diesen schweren Zeiten? Daß man es
alleine gar nicht schaffen kann? Es ist das Schicksal der Menschen, in ihrer eigenen Zivilisation
gefangen zu sein. Bittere Erfahrungen mit deinen Mitmenschen erleben heißt, dieses Schicksal
zu akzeptieren, auch wenn dein eigenes ungerecht erscheint.
Im Film begegnet den beiden Kindern nur zu oft das häßliche Gesicht unserer Welt, angefangen
mit dem Krieg, dem schlimmsten, was sich Menschen einander antun können. Doch nicht ohne
beständig die Hoffnung durchscheinen zu lassen. Die kleinen Momente des Glücks von Seita
und Setsuko stehen für die Hoffnung für alle Menschen. Mit welcher Natürlichkeit diese
Augenblicke als ruhige Inseln in der unterliegenden Dramatik der Geschichte in Szene gesetzt werden,
zeigt die große Klasse des Films, die ihn auch von anderen Ghibli-Filmen abhebt.
Taro
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